Gott allein die Ehre!

Allein Gott in der Höh’ sei Ehr und Dank für seine Gnade,
darum dass nun und nimmermehr uns rühren kann kein Schade;
ein’ Wohlgefall’n Gott an uns hat, nun ist groß Fried’ ohn’ Unterlass,
all’ Fehd’ hat nun ein Ende.

Nikolaus Decius, Evangelisches Gesangbuch 179,1

 

Ein Auslegung von Wilfried Körnig, zuletzt Pfarrer in Jagow/Uckermark

In den Gottesdiensten unserer Kirche wird Sonntag für Sonntag dieser Vers von Nikolaus Decius gesungen. Mir scheint, dass dies oftmals rein routinemäßig und vielfach gedankenlos geschieht. Doch es lohnt sich sehr, über diesen Text nachzudenken. Denn in diesem Vers ist das ganze Evangelium enthalten.

Gott allein die Ehre! Was oder wen ehren wir? Wem huldigen wir? Fernsehstars, Pop-Idolen, Sportlern, besonders Fußballern? Früher beugte man seine Knie vor Fürsten, Königen und Kaisern. Das ist vorbei. Oder vor dem »großen Führer«, der sich als Verführer erwies. Oder wir rauben Gott die Ehre, indem wir uns selbst in den Mittelpunkt stellen und sich alles um uns selbst drehen soll.

Der Mensch braucht einen, der größer ist als er selbst, an dem er sich ausrichten kann. Das kann nur der Schöpfer sein, dem der Mensch und alle Welt das Leben verdankt. Aber wo und wer ist Gott? Können wir ihn uns als Person, als »Vater« vorstellen? Ist er uns modernen Menschen nicht fern gerückt in die Unendlichkeit des Weltalls? Sollte sich der große Gott, der das Weltall regiert, um uns kleine Erdenwürmer kümmern?

Ja, sagt die Bibel auf diese Frage. Denn Gott spricht: »Ich wohne in der Höhe und im Heiligtum und bei denen, die zerschlagenen und demütigen Geistes sind« (Jes 57,15). Der große Gott, der das Weltall in Händen hält, vor dem alle Völker sind »wie ein Tropfen am Eimer und wie ein Sandkorn auf der Waage« (Jes 40,15), fragt nach uns kleinen Menschen, neigt sich zu uns herunter. Das ist seine Gnade, für die wir nur aus tiefstem Herzen danken können. Welch ein Glück, dass wir nicht planlos in Welt und Zeit umherirren, sondern uns geborgen wissen dürfen bei dem, der alles in der Hand hat. Auch nicht in den Sternen steht unser Geschick, wie die Astrologen meinen, sondern in der Macht dessen, der die Sterne in der Hand hält: »Hebet eure Augen in die Höhe und seht! Wer hat dies geschaffen? Er führt ihr Heer vollzählig heraus …« (Jes 40, 6). In der christlichen Jugend haben wir in den 30er Jahren folgenden Vers gesungen, der mir sehr eindrücklich geworden ist: »Er, dessen Herrschaft Ewigkeiten und ungezählte Sonnen fasst, er gab uns Ziel im Strom der Zeiten und löste unsrer Sünden Last« (Willy Hellmann um 1920).

Was heißt »Sünde«? Sünde ist nicht dieser oder jene kleine Fehltritt, sondern sie hat ihre Wurzel in der Übertretung des 1. Gebotes, nämlich dass wir Gott nicht vertrauen. Das ist das bittere Geheimnis unseres Menschseins: Gott ist da, er hat sich uns als Vater offenbart, aber der Mensch verlässt sich auf anderes. Wir suchen das Leben überall, nur nicht bei dem, der es gegeben hat.

Aber nun hat Gott seiner Gnade eine sichtbare Gestalt gegeben: Er ist uns so nahe gekommen, dass er als kleines Kind zu uns kommt, damit wir wieder Zutrauen zu ihm finden: »Gottes Kind, das verbind’t sich mit unserem Blute«, so hat es Paul Gerhardt in einem Weihnachtslied gesagt. Gott geht einen wunderbaren Tausch mit uns ein: Er wird ein Kind dieser Welt, damit wir Kinder Gottes werden können.

Er »löst unsrer Sünden Last«, indem er sie auf sich nimmt, als hätte er sie selbst begangen. Das wird deutlich bei Jesu Taufe. Er lässt sich in Solidarität mit uns Sündern taufen. Und Gottes Stimme sagt dazu: »Du bist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe« (Mt 3,17). Doch indem Jesus mit uns tauscht, gilt nun auch für uns: Du bist mein lieber Sohn, meine liebe Tochter! Du stehst unter meinem Wohlgefallen, wie es schon die Engel in der Weihnachtsnacht gesungen haben. Gott sagt: Ich sehe nicht mehr auf das, was du verbockt hast, nicht auf all deine Versäumnisse und all deine Defizite, sondern ich sehe dich so an, als wärst du mein lieber Sohn Jesus. Ich habe dich so lieb, dass ich meinen Sohn für dich sterben lasse als ein Sünder, damit du als Gerechter vor mir leben kannst. Du bist nicht mehr das, was du in deinen eigenen Augen bist, sondern was du in meinen Augen bist: mein geliebtes Kind. Und gelöst von der Last der Vergangenheit darfst du aufatmen. Wenn wir das im Glauben annehmen, zieht Gottes wunderbarer Friede in unser Herz ein, den uns niemand mehr rauben darf: »Nun ist groß Fried’ ohn’ Unterlass«. Und weiter im Text: »All’ Fehd’ hat nun ein Ende.«

Diesen Satz möchte ich in dreifacher Weise entfalten. Erstens die Fehde mit uns selbst, zweitens die Fehde mit Gott, drittens die Fehde mit unserer Umwelt. Erstens: Weil Gott mich gerecht gesprochen hat, dürfen nun alle Selbstanklagen schweigen. Alles Belastende ist ausgelöscht und vergeben. Und weil Gott mir meine Versäumnisse vergeben hat, kann ich auch mir selbst vergeben. Weil Gott mich angenommen hat, wie ich bin, kann ich auch mich selbst annehmen mit allen meinen Veranlagungen und Defiziten. So kommt die Fehde mit mir selbst an ihr Ende.

Zweitens: Aber auch die Anklagen, die wir Gott gegenüber im Herzen haben, dürfen nun zum Schweigen kommen. Wenn wir Gottes große Liebe, die sich für uns hingegeben hat, begriffen haben, lernen wir auch im übrigen Leben seiner Vatergüte zu vertrauen, zu glauben, dass er es gut mit uns meint, dass auch die schwersten und rätselhaftesten Ereignisse unseres Lebens uns – wie Paulus sagt »zum Besten dienen müssen « (Röm 8,28). So kommt auch die Fehde mit Gott zu ihrem Ende. Wo wir uns vorher aufgelehnt haben, lernen wir nun – vielleicht auch unter Tränen –, ihm zu danken. Und so kann uns dann im tiefsten Grunde »kein Schade mehr rühren«, wie der Liedvers uns sagt. So habe ich Frieden mit meiner Vergangenheit und kann getrost in die Zukunft blicken. Auch in Leid und Tod bin ich als sein geliebtes Kind bei Gott geborgen.

Und daraus ergibt sich drittens: Ich habe nun auch Frieden mit meiner Umwelt und mit meinen Mitmenschen. Ich bekomme einen ganz neuen Blick für die Verhältnisse, in denen ich leben muss, und die Menschen, mit denen ich es zu tun habe. Ich darf glauben, dass mein himmlischer Vater alles zu meinem Besten für mich geordnet hat. So kann ich auch die mir unsympathischen Menschen lieben und in ihnen Gottes geliebte Geschöpfe sehen. Weil Gott mich angenommen hat, kann ich auch die andern annehmen. Und so tritt auch hier an die Stelle des Klageliedes über die Mitmenschen und die Verhältnisse eine große Dankbarkeit für die Liebe und Fürsorge meines himmlischen Vaters. So lerne ich, die Welt mit neuen Augen zu sehen, und so endet auch die Fehde mit meiner Umwelt. Ich werde ein Kind des Friedens, von dem Friede auch in meine Umwelt ausgeht.

So kann ich nun mit der ganzen Christenheit auf Erden einstimmen in den Lobgesang: »Allein Gott in der Höh’ sei Ehr und Dank für seine Gnade«.

 

Nachwort: Vielleicht sagt mancher von Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, mit Goethes Faust: »Die Botschaft hör’ ich wohl, allein mir fehlt der Glaube.« Dann machen Sie es so wie der Vater in der Geschichte mit dem epileptischen Knaben (Mk 9,14ff.) und rufen zum Herrn: »Ich glaube; hilf meinem Unglauben!« Und das Gebet wird gewiss erhört: denn »dem Aufrichtigen lässt es der HERR gelingen« (Spr 2,7). Eine entscheidende Hilfe ist es, wenn es mir in der Seelsorge auf eine persönliche Beichte hin persönlich zugesprochen wird. Und es ist auch nicht so, dass wenn wir es einmal im Glauben angenommen haben, wir es nicht immer wieder neu im Gebet und Glaubenskampf festhalten und neu uns schenken lassen müssten. Für das, was ich geschrieben habe, stehe ich mit meiner persönlichen Erfahrung ein.